Thema: Reisebuch aus den österreichischen Alpen

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Reisebuch aus den österreichischen Alpen
24.09.2008 von JoDo

Reisebuch aus den österreichischen Alpen
24.09.2008 von JoDo

Reisebuch aus den Österreichischen Alpen (op. 62)
Ernst Krenek (1900 - 1991)

1. Motiv
2. Verkehr
3. Kloster in den Alpen
4. Wetter
5. Traurige Stunde
6. Friedhof im Gebirgsdorf
7. Regentag
8. Unser Wein
9. Rückblick
10.Auf und ab
11. Alpenbewohner (Folkloristisches Potpourri)
12.Politik
13.Gewitter
14.Heimweh
15.Heißer Tag am See
16.Kleine Stadt in den südlichen Alpen
17.Ausblick nach Süden
18.Entscheidung
19.Heimkehr
20.Epilog

„Die Reise hatte es in sich. Ich glaube, es war das einzige Mal, dass ein Werk so
offensichtlich und unmittelbar durch Erleben inspiriert wurde.“
Als sich Krenek, gemeinsam mit seinen Eltern und seiner damaligen Frau Berta Hermann,
im Frühling 1929 aufmachte Österreich zu bereisen, wollte er dieses Land, zu dem er „eine
eigenartige und leidenschaftliche Liebe“entwickelt hatte, genauer kennen lernen.
Krenek schreibt von dieser Reise in seinen „Erinnerungen an die Moderne“, es sei eine der
schönsten Unternehmungen seines Lebens gewesen.
Noch unter dem Einfluss der Reise stehend machte sich Krenek bereits einige Tage später
daran, einen Liederzyklus zu komponieren. Text und Musik entstanden gleichzeitig, wie er
es von seinen Opern gewohnt war, vom 5. bis zum 26. Juli 1929.
Krenek selbst bezeichnet die Lieder des Reisebuches als „nachdenkliche, manchmal etwas
sentimentale oder leicht satirische Vignetten, durchtränkt von Wehmut über das, was 1918
verloren gegangen war und von einiger Furcht erfüllt, vor den noch unbekannten aber schon
geahnten Katastrophen, die vor der Tür standen.“ Nicht zufällig entstand der Zyklus in einer
Zeit der intensiven Beschäftigung mit dem Werk Franz Schuberts. Vorbild für Krenek
waren die Liederzyklen, speziell die „Winterreise“ in der sich das lyrische Subjekt aufmacht
in der Fremde sein Heil zu finden. Anders allerdings verhält es sich im Reisebuch, wo das
Subjekt die Reise beginnt mit den Worten: „Ich reise aus, meine Heimat zu entdecken“.
Nicht in der Fremde, sondern in der Heimat liegt das Heil.
Man kann die einzelnen Lieder in zwei verschiedene Gruppen unterteilen.
Als erste Gruppe sind die Lieder zu nennen, welche die äußeren Reiseeindrücke zum Thema
haben, wie etwa „Verkehr“, welches die Schmalspurbahn nach Mariazell und die steile alte
Katschbergstrasse zum Thema haben. Das Lied „Kloster in den Alpen“ berichtet von einem
Besuch des Stiftes Admont mit seiner beeindruckenden Bibliothek, der „Friedhof im
Gebirgsdorf“ befindet sich in Hallstatt, das „Gewitter“ ging während Kreneks Reise in
Heiligenblut nieder, den „Heißen Tag am See“ erlebte er in Millstatt, die „Kleine Stadt in den
südlichen Alpen“ mit ihrem südlichen Flair ist Lienz in Osttirol und die merkwürdige
Inschrift vom „Epilog“ fand Krenek über dem Tor eines Weinkellers in Stammersdorf bei
Wien.
Der zweiten Gruppe gehören Lieder an, in denen Krenek Gedanken und Reflexionen
„psychologischer, moralischer, soziologischer politischer und kulturgeschichtlicher Art“
verarbeitet, wie etwa in dem Lied „Traurige Stunde“, „Rückblick“, „Politik“ oder
„Heimweh“.
Auch mit beißender Sozialkritik wird nicht gespart, wie etwa im Lied „Auf und Ab“, oder im
Lied „Alpenbewohner“.
Krenek sagt von seinen Reisebüchern, zu denen er auch die Zyklen „Gesänge des späten
Jahres“, sowie die „Ballade von den Eisenbahnen“ zählt: „Welche Bedeutung diese
Reisebücher im Gesamtbild der Musik ihrer Zeit zukommt, werden andere zu beurteilen
haben. Sie sind jedenfalls wichtige Marksteine in meiner eigenen kompositorischen
Entwicklung“.
Zweifelsohne gehört das Reisebuch aus den Österreichischen Alpen zu den wichtigsten
Vokalwerken des 20. Jahrhunderts.

Matthäus Schmidlechner

1. Motiv
Ich reise aus, meine Heimat zu entdecken.
So ist's mit uns:
Unglaube gegen uns selbst ist zutiefst in uns verwurzelt,
was anderen selbstverständlich, ist uns Problem:
ob wir daheim sind wo wir geboren.
Zusammengebraut aus verschiedenstem Blut,
mit vielem begabt, doch mit Zweifel zumeist,
irren wir hin und her, suchend uns selbst und die Heimat,
und kennen am Ende fast alles,
nur nicht das Land, dem wir gehören.
So reis ich aus der Stadt
in die Berge, die in mein Fenster schauen
und den Horizont unsrer Tage freundlich umschließen,
neugierig, ob ich's finde:
mein Vaterland.

2. Verkehr
Mit der Bergbahn geht's elektrisch immer höher,
immer höher durch den Wald, über die frühlingsbunten Wiesen.
Hart am Abhang schleicht sie hin so still und reinlich,
als war sie selbst ein Stück Natur
und nicht hingesetzt von Menschen.
Noch lieber fahr ich aber Automobil:
das geht schön langsam, und man spürt das durchmessene Land.
Doch im Postauto erst lernst du die Menschen kennen.
Die Härten des Fahrplans mildert sozialer Sinn der Passagiere,
und so steigt immer noch einer auf,
immer noch einer,
immer noch,
immer,
mit einem Witz scheuchend die Qual der Enge.
Der Chauffeur kann kaum zu seinen Hebeln,
und auf der unmöglich steilen, alten Straße
rutscht der Wagen oft bedenklich.
Doch es geht, es geht schon - nur Geduld!
Und jeder kommt ans Ziel und lächelt freundlich.
Unbedankt geschieht so die schwerste Arbeit,
denn wem soll man es auch rühmen,
dass die Straße wüst und gefährlich,
der Lenker aber kühn und prächtig ist?
Der Durchschnitt findet Antwort nur.
So aber ist dies Volk,
dass es durch Talent den Mangel und die eigne Indolenz
besiegt.

3. Kloster in den Alpen
Riesengroß liegt das Kloster da im Tal,
unverrückt und nicht berührt vom Strom der Zeit.
Zwar haben sie auch alles:
Wasser, elektrisches Licht, Telephon und den Rest;
doch sind sie der Technik Sklaven nicht wie wir.
Im ewig stillen Saal, zwischen hunderttausend Büchern,
während freundlich die Mittagssonne auf altersgrauen Bänden spielt,
erklären elegante Mönche mit wohlberechtigtem Hochmut
dem hergelauf’nen Pöbel,
was zu zeigen sie ihm gut finden.
Kühl entfernen sie sich,
und unentschleiert bleibt das Geheimnis,
das in dem Riesenbau du walten fühlst.
Abends dann beim Wein im Klosterkeller magst du nachdenken,
was für ein sinnlos Leben du führst.

4. Wetter
Unverbindlich ist das Wetter in den Alpen,
nicht bequem und nicht dem Wunsch des Reisenden entgegenkommend.
Unverlässlich wie ein Lieferant,
wechselt es von Stunde zu Stunde,
von Tal zu Tal.
Niemals lässt es uns vergessen,
dass wir in einer unwirtlichen Zone hausen,
dass unser Leben nur ein halbes Leben ist,
weil ihm die ewige Sonne fehlt.
Geduld, Geduld wird hier gelernt,
wenn wieder und wieder sich die Berge in die grauen Schleier hüllen und der stille Regen
niedertropft.
Dann wird es plötzlich hell des Abends, man ist des schönen Morgens sicher, doch in der
Frühe regnet's wieder...

5. Traurige Stunde
Nicht jeder Reisetag ist schön und festlich,
manchmal überfällt mich Bangen,
grundlose Unrast, und das Herz wird schwer.
Ist es nicht vermessen, nur aus Neugierde zu reisen,
sich in andrer Menschen Kreis zu drängen,
nur um nachzuschauen, wie es da ist?
Wie, wenn sie mich fragen:
»Nun, du Fremder, Zugereister!
Was bringst du uns? Was willst du hier?
Kein nützliches Geschäft? Kein Grund? Nur Neugier?«
Was dann?
Und wenn daheim zur Strafe alles fehlgeht,
Unordnung und Wirrnis meine Heimstätte rasch überwuchern,
was geschieht?
Nachts im fremden Zimmer lieg ich dann
und kann nicht schlafen,
ringsum die Gespenster wachsen immer höher,
wachsen immer höher, wachsen und ersticken mich.
Das Wandern bringt uns noch näher dem Tode
als die Lebensstunde sonst,
und jeder Abschied, sei es vom Geringsten,
ist ein Stückchen Tod,
dem endgültigen vorgestorben.
Wieder ein Ding weg aus dem so engen Kreis!
Alles wird heruntergelebt und ist dann fort,
unwiederbringlich, unwiederbringlich, unwiederbringlich fortl
Das frühe Morgenlicht scheucht die Gespenster.
Nach kurzem Schlaf ruft dann vielleicht die Sonne
zu der neuen Unternehmung, und das Trübe ist vergessen!

6. Friedhof im Gebirgsdorf
Selbst die Toten in dem kleinen Kirchhof müssen noch bergabwärts
liegen, weil der karge ebne Boden den Lebenden dienen muß.
So ist sogar die letzte Ruh ein halbes Stehn und hart und mühsam wie das saure Leben
war.
Auf der Gräber dürrer Glatze picken magre Hühner, an den Kreuzen trocknet
Kinderwäsche.
Und nicht einmal »ewig« ist die so gestörte Ruhe,
denn nach zehn Jahren wird, was blieb, von neuem ausgescharrt,
denn in die Grube drängt der frische Leichnam.
Im düstren Beinhaus wird sodann das lockere Skelett zerrissen,
die kahlen Schädel liegen oben,
unten wirr in Haufen das Gebein.
Gegen fünfzig Groschen Eintritt könnt ihr euch die Reste anschaun,
und so arbeiten noch die Toten.
Wie muss einst Auferstehung sein in diesem Tal der Schmerzen,
wenn all die stumm ertrag’ne Not empor sich reckt
und diese Toten ihre Gräber aufsprengen,
und die Riesenleichensteine, diese ewigen Alpen, einstürzen?
Verwirrt stolpert man ins Sonnenlicht und versteht,
dass auch die Lebenden hier nicht sehr lustig sind.

7. Regentag
Es gibt Regentage, die sehr schön sind.
Morgens zwischen acht und neun
zeigt sich die Sonne zwischen feuchten Schleiern.
Bald entschwindet sie dem Blick
und trüb und trüber senken sich die Wolken.
Langsam fängt es an zu regnen,
und man weiß; nun hört's bis abends nimmer auf.
Unrast, Unternehmungslust und Neugier geh’n auf Urlaub,
und ein stiller Ruhetag wird heute sein.
Das Nahe, Kleine, Einzelne empfiehlt sich der Betrachtung:
eine Pfütze auf dem Weg, das wachsende Bächlein im Straßengraben,
eine Bäuerin mit einem Parapluie.
Nachmittag sitz ich dann am Fenster,
in der Karaffe glänzt der dunkelrote Wein,
den man geruhsam trinkt, nichts als dem Ablauf der Stunden zugewandt.
O wunderschöner Ruhetag, friedevolles Plätschern auf dem Dach
und Müßiggang, den man nur hier genießt!

8. Unser Wein
Von Süd und Ost belagert stürmisch unsre Alpen unser Wein.
Da ist der weiße Wein von Wien und Gumpoldskirchen,
der von Krems, aus der Wachau,
dann die von Baden, Soos, Pfaffstätten
und der rote von Vöslau,
und weiter dann im Süden unsrer Steiermark das Hochgewächse von Luttenberg.
Zumeist verachtet von den Fremden wie das meiste, das wir haben,
weil zu anspruchslos im Äußern ist die Gabe,
ist köstlich unser Wein
nur dem, der ihn zu finden weiß.
Nichts ist so schön,
als wie im frühen Sommer durch das Weingebirg zu geh’n,
wo auf unabsehbar schrägen Flächen emsig still und unverdrossen
an grauen Stecken grüne Männlein aufwärts klimmen.
Weiße Rebhäuschen, schmuck und zierlich,
unterbrechen ihre holde Pilgerfahrt,
und noch ganz oben, wo schon der schwarze Nadelwald herrschen will,
drängt sich ein schmaler Weinberg zwischen die Föhren,
bietet sich der Sonne dar . ...

9. Rückblick
Was hab ich bis jetzt nun gefunden?
Innre Ruh hat sich nicht eingestellt.
Wir in der Zeiten Zwiespalt haben es schwer.
Stadtgeboren, angehängt dem Betrieb der Zeit,
sehn wir da draußen in den Bergen
überall die unerreichbaren Quellen des Lebens,
in jedem Haus das Zeugnis bessrer, noch naturverbundner Zeiten.
Ist denn für uns wirklich das Band unknüpfbar zerrissen?
Und den Niederbruch des Lebenswerts bejahen, die Verpöbelung des
Menschen?
Wer gibt Antwort, wohin wir gehören? Wohin?

10. Auf und ab
Auf und ab wie die Narren rennen die Menschen,
den Sommer über auf und ab in diesen Alpen,
als ob ein alter Fluch sie hetzte,
als ob man Platzpatronen hinter ihnen anbrennte.
Ungeduldig und beflissen nach den dürren Weisungen der Reisebücher,
Alpenführer, Fahrpläne und Prospekte
laufen sie herum, die einen hin, die andern her,
mehr leidend als genießend, und versichern:
»Ach wie schön! Ach wie schön!«
photographieren sich und dahinter auch wohl einen Berg
und sehen nichts, weil sie Ansichtskarten schreiben müssen.
Ein Geist der Menschenfeindschaft wächst riesig unter ihnen auf,
denn jeder, dem man begegnet, ist ein böser Konkurrent
für Autoplätze, Gasthaustische, bessres Essen,
Aussichtspunkte, Nachtquartier und alles übrige.
Die Sinnlosigkeit der Mühe steht auf den verdrossenen Gesichtern,
doch die weiß Gott von welchem Dämon
verhängte Pflicht wird stumpfsinnig erfüllt.
Gelangweilt verhüllen die großen alten Berge ihre Häupter,
wenn der Pöbel ihnen auf die Füße tritt.

11. Alpenbewohner (Folkloristisches Potpourri)
Die Alpen werden von wilden Nomaden bewohnt.
Mit ungeheurem Lärm kommen sie hergebraust,
Sommer und Winter spei'n die geduldigen Züge ihre Scharen aus.
Heuschrecken gleich bedecken sie das Land.
Mit unsäglicher Banalität schreien sie laut und deutlich in die Landschaft,
als wollten sie den Erdgeist wecken.
Selten sieht man Urbewohner stumpf und mürrisch den Greu'l betrachten und im Stillen
den Gewinn berechnen, den sie den Fremden aus Norden, die so seltsam sprechen,
obgleich es deutsch sein soll, aus der Tasche ziehen werden.
Was uns noch fehlt, sind Leute von drüben,
mit schwarzen Schiffs koffern, herdenweise, rücksichtslose, furchtbare.
Hätten wir »english church« und »golf de haute montagne« auch bei uns (mit achtzehn
»holes«), sie würden lieblich sich zum Ganzen fügen.
Am Samstagabend wird das Berghotel im Handumdrehn zum Irrenhaus,
denn in dem Saale lassen, von dem Bier ermuntert, alle Eingebornen einen desperaten
Cantus steigen.
Auf der Veranda kräht ein altes Grammophon die neusten Schlager,
draußen aber krachen Motorräder wie Raketen auf dem Schlachtfeld, die von ihnen
abgesessen schwanken drecküberkrustet wie Vorweltungetüme in den Speisesaal, der
vom Gebrüll der Barbaren dröhnt.
So muß Weltuntergang sein!

12. Politik
Ihr Brüder, hört ein ernstes Wort!
Muss denn in diesem Lande alles, alles Politik sein?
Sind wir gestraft für unsre Sünden mit unheilbarem Irrsinn?
Habt ihr denn ganz verlernt, zu leben um des Lebens willen?
Wir waren auserseh’n, Hirten zu sein für die vielen Völker
des Ostens und Südens, die mit uns vereint waren.
Wir haben die Aufgabe nicht erfüllt,
die Prüfung nicht bestanden, von schlechten Lehrern schlecht vorbereitet.
Die Strafe war fürchterlich. Oder habt ihr das vergessen?
Gedenket, Brüder, der Zeit, da uns Tausende fielen täglich, dem
Mutwillen ausgeliefert!
Wie der Hunger uns gequält hat, Elend, Kälte, Finsternis die einzigen Begleiter und
Regenten unsres Lebens jahrelang!
Wie eure Kinder starben ausgehungert und erfroren, wie die Greise auf der Straße fielen
wie die Fliegen in der Herbstzeit, wenn sie es nicht vorgezogen, sich an schlechten
Stricken aufzuhängen.
Gut, wir haben die Peiniger verjagt,
doch ist euch Peinigung und Lust an Qual so sehr Natur geworden,
dass wir uns jetzt gegenseitig zerfleischen müssen?
Habt ihr denn alle Lust am Leben ganz verloren, wird kein Tag mehr
ohne Galle sein? Ihr Brüder, schickt den blutigen Hanswurst endlich heim, beendet die
Todesmaskerade, denn es ist genug jetzt!
Oder es kommt noch schlimmer, und wir werden untergehen.
Blickt hin gegen Westen, wo ein freies Volk auf freien Bergen wohnt,
und lernt von ihm, wenn es auch spät ist, bald ist es allzu spät!
Brüder, hört, es ist die höchste Zeit!
Und hat das blutige Gespenst sich endlich in die tiefste Höhle dieser
Berge verkrochen,
so lasst uns einen Stein davor wälzen, groß wie der Dachstein,
und an diesem Tag soll dann ein Lied erklingen,
wie man's in diesen Alpen noch nie gehört!
Brüder! Es ist höchste Zeit!

13. Gewitter
Plötzlich wird es schwarz zwischen den weißen Gipfeln, Wolken, gelb und gefährlich,
brechen herein von allen Seiten. Sturzbäche sendet der Himmel herab, brüllend wälzt
sich der Donner von Berg zu Berg.
Entsetzt, mit nassen Füßen, wund, mit keinem trockenen Faden am Leib
flieht der lächerliche Stadtfrack talwärts
und denkt mit Recht, dass die Natur nicht für ihn gemacht ist. Wetter, komm und reinige
uns von Dummheit, Bosheit, schleichender Gemeinheit!
Gib uns die Klarheit wieder, dass der Regenbogen des Geistes strahle!
Die Bäume brausen gewaltig, dunkelbraun schwellen die Bäche,
das schwarze Verderben steht über uns!
Doch oben, fern durch den Regenschleier, schimmert blauer Himmel,
und die höchsten Spitzen ragen wie Gespenster.
Jetzt in gewaltigem Sturz braust das Licht nieder,
von der funkelnden Spitze auf den Gletscher herab,
an ungeheuren Abgründen schwarzen Schattens vorbei,
und die Sonne füllt mit unendlichem Glanz das Tal.

14. Heimweh
Manchmal, in all dem Großen, gewaltig Schönen
empfind ich Heimweh nach meiner Stadt.
Einfach und grad ist alles, groß und gewaltig auch in diesen Alpen.
Dort aber ist um alles noch ein Geheimnis, der Zauber dunkler, wirrer,
prächtiger Geschichte.
In verborg’nen kleinen Dingen spiegelt sich noch heute
Größe, Glanz und Trauer alter, lang vergangner Zeiten.
Diesem alten Boden, seinem unverwüsteten Duft,
der in ewig neuer Gestalt Geist werden lässt,
spielend wie ein Gott mit Kostbarkeiten,
ihm vertrau ich, nicht der neuen Idee.
Dies weht mich an, wenn ich durch ihre Straßen geh,
da wo die niedern gelben Häuser stehen.
Durch das grüne Tor seh’ ich in dem alten Hof den Lindenbaum.
Hier verbindet sich das Bild der Lebensfülle dem Gedanken der Weisheit,
die, im Engen sich erfüllend, alle Weite von selber hat.
Mag die Weite auch zertrümmert scheinen, unverloren bleibe der Geist! Wer auch immer
ihn verleugnet, ich bleib ihm treu.
Er wird sicher wieder gelten, wenn der Wahn dieser Zeit vorbei.

15. Heißer Tag am See
Hier ist alles weich und südlich, und die Sonne scheint mit ungewohnter Glut.
Auf den Bergen schwebt jener leichte Dunst, den nur des Südens Sonne
schafft, und macht sie fern und durchsichtig.
Etwas wie Sicherheit glaub ich hier zu fühlen:
Eine Gnade beginnt ihre Flügel auszubreiten über das Leben,
und des Menschen Los ist nicht nur Kampf.
Irgendwo im Mittagsglast schwebt singend eine Frauenstimme über dem
See, sonst regt sich nichts.
Nur ein Fischlein springt manchmal mit leisem Schlag über das Wasser.
Ist das vielleicht das verheißene Land?
Ist das vielleicht die Heimat, die ich suche?

16. Kleine Stadt in den südlichen Alpen
Schmale Gassen, tief und dunkel, zwischen hohen Häusern steil und weiß,
die, seltsam ineinander verwachsen, wie ein Haus sind,
und nur abenteuerlich zerklüftet vom Menschen.
Dazwischen geht es bunt zu, und man ahnt das andre Blut.
Auf dem Platz, der in der Sonne brütet,
stehen zierliche Arkaden, liebliche Blumen aus südlichem Samen entsprossen,
den ein guter Wind einstens hierher geweht.
Und ringsum steigt das breite Tal zu endlosen Höhen auf,
und noch am fernsten, sanften Hügelrand, der schon ans Hochgebirg’
zu grenzen scheint,
baut sich ein kleines Dörfchen auf, am blauen Himmel hell hingesetzt.
Abends dann auf dem Platze spielt die Kapelle feurige Weisen,
ein bisschen falsch, ein wenig schnell, ganz wie sich's gehört,
denn wir sind ja im Süden, und das Leben wird wieder lebenswert! Gepriesen seist du,
lustige Stadt!

17. Ausblick nach Süden
Und über den Bergen liegt Welschland,
hell und heiter steh’n Sonne und Mond über den Höhen,
während hier noch Wolken droh’n.
Und ich ahne von fern das italische Licht,
ewige Wahrheit des Lebens, schwebendes Dasein, Gnade des Himmels
und der Erde . . .
Und über den Bergen liegt Welschland - meine Heimat nicht.
Und doch ist mir manchmal so, als wär ich lieber dort daheim.
Uns ist gegeben, dass wir immer meinen, anderswo wäre das Glück,
und so beneiden wir alle, die anders sind.
Und doch muss die Distel ihr Glück auf ihrem Boden finden,
denn in den schönsten Garten verpflanzt, wird doch nie eine Rose aus ihr,
und nur wenn wir uns still bescheiden, wird uns jenes Glück vielleicht zuteil.

18. Entscheidung
Die Sehnsucht wird immer weiter bohren, denn wir lieben das!
»Sehnsucht wonach?«
Nach einem anderen Leben, nach einer anderen Zeit,
wo Natur und Mensch eins sind und Gleichklang alles, was geschieht!
»Glaube, glaube, liebe Seele, das ist nicht gegeben! Nie war es.«
So will ich es immer wollen, und sei es unmöglich!
»Liebe die Welt, wie sie ist! Liebe dich selbst, wie du bist!«
Keine Befreiung?
»Keine!«
So will ich also leben in der Freiheit des Geistes,
der selbst sich die Richtung gibt,
ich will mein Schicksal lieben, so wie es mir bestimmt,
und nach immer neuem mich sehnen, solange das Lämpchen noch glimmt!

19. Heimkehr
So trägt der schnelle Zug mich wieder heimwärts, die Reise ist zu End.
Die schnellen Felder fliegen uns vorbei, Wald, Städtchen,
Burg und Kapelle,
und von neuem empfind ich den Schmerz der Vergänglichkeit.
Bald wird es klar: Jedes Ziel ist ein neuer Anfang,
und so werd ich wieder reisen und will es gerne tun.
Doch möge mir vergönnt sein, eine Heimat dann zu finden, wenn ich
wiederkehre. Möchtest du, unser schönes Land, mir Heimat sein!
Liebes Vaterland?

20. Epilog
Am Tag nach meiner Heimkehr
geh ich durch das Weindorf im Osten der Stadt.
Seltsam ist die Straße, die hinführt.
Kein Haus an ihrem Rand, kein Fenster, das dich grüßt -
und doch Bauten die ganze lange Straße hin,
niedrig, düster, mit schmalen Pforten wie die Gräber orientalischer Könige.
Schläft auch ein König drin,
still hinter den dichten grünen Läden: der Wein.
Auf einem Tor steht ein merkwürdiger Spruch,
einem Grab so angemessen wie einem Weinkeller auch:
Ich lebe, und weiß nicht, wie lang.
Ich sterbe, und weiß nicht, wann.
Ich geh, und weiß nicht, wohin,
mich wundert's, daß ich noch fröhlich bin.
Betroffen steh ich still.
Letzte Weisheit alles Reisens, ja des ganzen Lebens ?
Hier so nahe? Ewiger Zwiespalt der Kreatur!
Und doch ist's anders, denk ich drüber nach:
Ich lebe, und weiß nicht, wie lang.
Ich sterbe, und weiß nicht, wann.
Ich geh, und weiß nicht, wohin -
doch mich wundert's trotzdem nicht,
daß ich trotzdem fröhlich bin!

Re: Reisebuch aus den österreichischen Alpen
24.09.2008 von Brezi

Ist DIESER Krenek DER Komponist, der den Johnny aufspielen lässt? Wie immer kopierst du schneller, als ich lesen kann. Aber ich glaube wie immer bei dir, dass auch das einen Ausdruck auf Papier und ein entspanntes Lesen in angemessenem Ambiente wert. Also bitte net böse sein, wenn ich es mir am Bildschirm nicht eineziag und die Radmaus schneller scrollen lasse als meine Augen mitkommen. Es kommt ein Wochenende und da gibt es keinen Exodus aus Favoriten, keinen Eisodus nach Fünfhaus. Da wird gelesen. Versprochen. Auch wenn eine schöne Leseecke mit Stehlampe noch nicht verwirklicht ist.

Die Signatur ist Spitze! So hoch hätte Rosenthal nie hüpfen können.

Re: Reisebuch aus den österreichischen Alpen
25.09.2008 von JoDo

Genau:
Das bekannteste Werk des Komponisten
Ernst Krenek (* 23. August 1900, † 22. Dezember 1991)
ist die Oper
"Jonny spielt auf" (1927), die fälschlicherweise als "Jazzoper" tituliert wurde und Ende der Zwanzigerjahre für einigen Tumult sorgte.
Mir wurde das "Reisebuch" zuerst in einer Aufnahme mit Julius Patzak bekannt.
Die Aufnahme stammt sicher aus den Sechzigerjahren, ist aber bei Preiser als CD 1997 herausgekommen und im Internet noch bei diversen Anbietern erhältlich.
Angenehme Rezeption
JoDo

Jonny
25.09.2008 von Brezi

Dann habe ich also nur den Jonny falsch geschrieben. Aber das ist wenigstens ein "Beweis", dass ich dieses Wissen aus dem Biocomputer und nicht aus Google abgerufen habe . Freu mich schon auf das Lesen, aber wenn ich dir jetzt eine Momentaufnahme meines ehemaligen Wohnschlafzimmers schicken könte (geht nicht, denn der Kasten ist mit Sachen verstellt), verstehst du, warum ich das verschiebe ...

Dieser Beitrag kommt wieder raus, nachdem du ihn gelesen hast, damit der Thread nicht mit Privatem belastet wird.

Schönen Tag! Meiner beginnt mit Kopfweh und endet mit Möbel Tragen. Dazwischen muss ich mein Brot verdienen. O Graus!

Und ich war natürlich nur zu faul, mir in der Zeichentabelle ein r mit Hatschek ("Ersch") herauszusuchen.

LGBr

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